Krummer Hund (Juliane Pickel)

Inhaltsangabe / Zusammenfassung

Julian Pickel hat mit ihrem Ich-Erzähler – dem 15jährigen Daniel – nicht unbedingt eine sympathische Figur für ihren Jugendroman “Krummer Hund” erschaffen. Und doch schlagen diesem wütenden, renitenten jungen Menschen im Laufe des Buches zunehmend die Sympathien und das Mitgefühl der Leser*innen entgegen, weil man seine Wut, seine Angst und Verzweiflung nur zu gut verstehen kann.

Das erste im Buch thematisierte Ausrasten von Daniel beginnt damit, dass der Tierarzt seinen Hund und Seelengefährten einschläfern muss. Doch in Daniels Leben ist auch sonst nicht allzu viel in Ordnung. Der junge Mann muss sich durch einen Wust von Erlebnissen lavieren, mit denen er seelisch nicht fertig wird. Sie erfüllen ihn mit Angst und Wut. Sie bringen ihn aus dem mühsam ausbalancierten Lebensgefühl in eine emotionelle Achterbahnfahrt, die in gelegentlicher Zerstörungswut gipfelt. Seine Mutter nennt es “Anfall”.

Ohnehin durch die hormonellen Umschwünge der Pubertätsjahre aus dem Gleichgewicht gebracht, gleicht Danieles Leben und Erleben plötzlich einer Achterbahnfahrt mit Doppel-Looping.

Ein junges Leben wird aus dem Gleis gehoben

Der Vater von Daniel hat die Familie schon vor Jahren verlassen. Die Mutter sucht bei verschiedenen Männern Trost. Leider zerschellt jede neue Beziehung bald – und dann verfällt sie in Depressionen. Daniel, ihr fünfzehnjähriger Sohn, wird mehr oder weniger sich selbst überlassen. Zu allem Überfluss wird ausgerechnet der Tierarzt, der seinen heißgeliebten Hund Ozzy eingeschläfert hat, der neue Freund seiner Mutter.

Ozzy ist eine der wenigen Erinnerungen, die Daniel noch an seinen Vater hat. Der Tod seines Hundes traumatisiert den Jungen. Zudem fragt der Tierarzt Thomas König seine Mutter ausgerechnet in dem Moment, als Daniels Hund eingeschläfert wird, ob sie gemeinsam essen gehen wollen. Tatsächlich wird dieser Mann der nächste Freund seiner Mutter. Er geht bei ihr schon bald ein und aus. Daniel erwartet im Stillen, dass auch dieser Mann bald verschwindet und sie in absehbarer Zeit verlässt. Zudem haben alle anderen Freunde Daniel entweder von oben herab oder mit anbiedernder Kumpel-Attitüde behandelt.

Doch Daniel entdeckt im Verlauf der Geschichte, dass der Doc eigentlich ganz in Ordnung zu sein scheint. Er mag Doc König entgegen aller Erwartung, weil dieser sich nicht bei ihm anbiedert. Zugeben, dass er den Tierarzt ok findet, kann Daniel aber nicht, auch wenn er sich innerlich immer wieder über bestimmte Verhaltensweisen vom Doc freut. Er ist zu sehr mit seinem inneren Chaos beschäftigt.

Ein nächtlicher Filmriss und seine Folgen

Daniel und Edgar sind beste Freunde. Beide spionieren eine Mitschülerin namens Alina aus, die scheinbar mit Wonne andere Klassenkameraden drangsaliert. Edgar und Daniel nennen sie deswegen “Prinzessin Evil”. Beide planen seit Längerem, Alina demnächst eine Lektion zu erteilen, um sich an ihr zu rächen. Alinas Bruder Pascal steht im Verdacht, etwas mit Drogen zu tun zu haben. Auch andere krumme Dinger, die nicht nach guter Gesellschaft klingen, werden Alinas Bruder nachgesagt.

Auf einer Party, auf der auch Alinas Bruder anwesend ist, betäubt Daniel seinen Kummer mit viel Alkohol. Er hat anschließend einen Filmriss und keine Ahnung, wie er von der Party nach Hause kam. In jener Nacht, so erfährt Daniel später, ist Alinas Bruder von einem Auto angefahren worden und gestorben. Der Autofahrer, der dafür verantwortlich ist, hat Fahrerflucht begangen.

Dumpf erinnert Daniel sich, dass der Doc ihn, betrunken wie er war, von der Party angeholt hatte. In dem verstörten Jungen keimt ein schrecklicher Verdacht auf. Daniel ist sich allerdings wegen seines Alkoholkonsums nicht sicher, ob er seinen nächtlichen Erinnerungen vertrauen kann. Vielleicht bildet er sich nur ein, dass der Doc da war und der Schuldige an Pascals Tod sein könnte. Vielleicht möchte er ja, dass der neue Freund seiner Mutter etwas damit zu tun hat, damit er verschwindet.

Daniel hat seine widersprechenden Gefühle und Gedanken zunehmend nicht mehr im Griff. Sein Leben und seine Gefühlswelten sind ein einziges Chaos. Er braucht ein Ventil.

Daniels innerer Druck verlangt nach Entlastung

Daniel findet ein Aggressions-Ventil in unkontrollierbaren Wutanfällen. Wenn der emotional aus den Angeln gehobene Jugendliche ausrastet, zerkratzt er fremde Autos, er tritt nach einem Hund oder verprügelt einen Mitschüler, der jünger ist und keine Chance gegen ihn hat. Psychiater würden ihm vermutlich eine gestörte Affektkontrolle attestieren. Daniel scheint unfähig zu sein, über seine inneren Konflikte zu sprechen oder diese auf andere Weise zu bewältigen. Im Laufe der Geschichte ist der Jugendliche bei der Psychologin Frau Stenzer vorstellig.

Daniel sagt im Buch von Juliane Pickel einmal, es sei nicht so, dass er diese aggressiven Dinge tun wolle. Er verspüre viel mehr einen ansteigenden Druck in seinem Körper. Dieser bringt ihn nach eigener Aussage zur Explosion. Durch den inneren Druck wird seine Brust eng. Alles in ihm schnürt sich zuweilen zusammen, bis Daniel das Gefühl hat, er kann kaum noch atmen. Er fühlt sich dann mitgerissen wie von einem Strudel, in dem er ertrinkt.

Und dann, so erklärt der junge Mann seinen Ausraster, öffnet sich etwas in seinem Körper und ein giftiges, heißes Gas ströme aus ihm heraus und verteilt sich in seinem Körper. Im Verlauf des Buches wird jedoch für die Leser*innen klar, dass Daniel und “Prinzessin Evil” Alina viel mehr geneinsam haben, als sie annehmen. Dennoch will Daniel seinen Rachegedanken zusammen mit Kumpel Edgar freien Lauf lassen. Doch auch Alina ist nicht nur eine, die andere mobbt.

Auch Prinzessin Evil hat verletzliche und nette Seiten. Diese zeigt sie gegenüber ihren Klassenkameraden allerdings kaum. Als Daniel ihr Hausaufgaben vorbeibringt und Alina dabei besser kennenlernt, bemerkt er, dass Alina auch andere Seiten hat. Der geplante Rachefeldzug findet vorerst nicht statt. Auch der Doc ist nicht das, was er in Daniels Augen zu sein scheint. Die Dinge entwickeln sich plötzlich anders als erwartet.

Fazit

Alle Menschen, die im Buch “Krummer Hund” im Spiel sind, wirken zunächst etwas eindimensional und vorhersehbar. In Wahrheit sind Menschen aber sehr komplex. Sie sind oft Täter und Opfer zugleich. Sie leiden und lassen deswegen andere leiden. Sie sehen sich als gute Freunde an, ziehen aber andere in ihre Intrigen und Rachepläne hinein. Sie übernehmen keine Verantwortung für das innere Chaos, in dem sie sich befinden. Das gilt für Daniel und für seine Mutter – und für Alina ebenso.

Das Leben einiger Protagonisten in “Krummer Hund” ist eine Gratwanderung. Doch Schuldzuweisungen oder einseitige Erklärungen für ihr Gefühlschaos bleibt die Autorin absichtsvoll schuldig. Die jugendlichen Leser*innen sollen sich selbst ein Bild machen können. Ausgerechnet Alina belehrt Daniel, dass seine Ausraster und Wutanfälle nicht durch äußere Einwirkungen entstehen – sondern durch seine eigenen Bewertung der Geschehnisse. Er selbst ist dafür verantwortlich – ebenso, wie sie es für ihr übergriffiges Verhalten ist.

Juliane Pickel legt alle Figuren in ihrem Jugendbuch so an, das niemand nur als sympathisch oder unerträglich angesehen werden kann. Jeder Handelnde in „Krummer Hund“ ist von Widersprüchlichkeiten geprägt. So kommt es, dass Alina und Daniel sich heimlich verlieben. Sie lassen aber Edgar im Dunkeln darüber. Es geht in “Kummer Hund” um Verrat, Verdacht und Vertrauen, um widerstreitende Gefühle wie Wut, Zuneigung, Enttäuschung und Angst, um eindimensionale Sichtweisen und um komplexe zwischenmenschliche Zusammenhänge. Das Buch regt zum Nachdenken und zu Verständnis und an.

Dieses Jugendbuch unterscheidet sich in manchem von anderen Jugendbücher. Es ist gerade deswegen so lesenswert, weil es Antworten schuldig bleibt und zu Diskussionen anregt. Nichts ist einseitig und eindeutig. Auch der Ich-Erzähler wechselt seine Perspektiven ebenso oft wie seine Stimmungen. Sprachlich überzeugt Juliane Pickel mit einer bildhaften Sprache. Sie kann ihre Leser*innen in einem Moment bewegen und im anderen zum Lächeln bringen.

Vor allem aber sollte man sich die Zeit nehmen, über die ersten – etwas spröde klingenden – Seiten hinweg zu lesen. Es lohnt sich.