Der Markisenmann (Jan Weiler)
Personenbeschreibungen
Mutter Susanne Mikulla
Susanne Mikulla ist überfordert von ihrer rebellischen Teenager-Tochter, als diese ihren Halbbruder beim Grillen in Brand steckt. Es sieht leider nicht nach einem Versehen aus. Zur Strafe und zur eigenen Entlastung schiebt die Mutter Kim über die Sommerferien zu ihrem leiblichen Vater Roland ab, den Kim überhaupt nicht kennt.
Der Grund dafür: Ihre Mutter hat ihren damaligen Ehemann zusammen mit der zweieinhalbjährigen Tochter eines Tages verlassen. Kims Mutter behauptet ihrer Tochter gegenüber jahrelang, ihr Vater habe kein Interesse an ihr. Fragen zum Ex-Mann beantwortete sie nur unwirsch, am liebsten gar nicht. Das letzte gemeinsame Foto mit Ronald Papen lässt sie irgendwann aus dem Familienalbum verschwinden.
Stiefvater Heiko Mikulla
Stiefvater Heiko spricht nur selten von Kims leiblichem Vater, nennt ihn dann aber “den feinen Herrn Papen”. Er behauptet, der “feine Herr Papen” weigere sich, Unterhalt für seine Tochter zu zahlen. Das klingt, als sei Kims leiblicher Vater ein Versager, den ihre Mutter zu Recht verlassen hat. Heiko Mikulla kaufte der Familie zwar ein großes Haus. Aber Kim spürt nicht, ob er seine Familie liebt. Seine Frau ist ihm nach eigenem Bekunden “dankbar”. Sie verhält sich Heiko gegenüber mit hündischer Ergebenheit.
Mikulla kauft Anteile an Firmen. Er verkauft sie mit Gewinn weiter. Die Beschäftigten interessieren ihn nicht. Mit seiner Frau Susanne bereist er halb Europa, um neue Beteiligungsmöglichkeiten aufzutun. Susanne und er scheinen sich nicht zu lieben. Es sind eher monetäre Interessen, die sie zusammenhalten. Sie passen nicht gut zusammen, denn sie streiten sich wiederholt. Manchmal gurren sie sich aber auch an.
Tochter Kim Papen
Ich-Erzählerin Kim ist fünfzehn Jahre als. Sie lebt mit ihrer leiblichen Mutter Susanne und Stiefvater Heiko zusammen. Von Susannes Mann fühlt sie sich nicht geliebt. Ihren leiblichen Vater hat sie noch nie getroffen. Beschrieben wird Kim als verwöhnt, aufmüpfig und rebellisch. Ihr Verhalten gegenüber Mutter, Stiefvater und Bruder ist das typische Verhalten pubertierender Jugendlicher. In dieser Zeit verändert sich durch den Einfluss der Hormone nicht nur körperlich viel. Auch das bisherige Weltbild wird in Frage gestellt.
Kim ist schlecht in der Schule. Sie hat nur wenige Freunde. Einzige Ausnahme: Delia, die ihr unter anderem das Klauen beibringt. Von ihrer Familie fühlt Kim sich unverstanden und ungeliebt. Nichts in ihrem Leben fühlt sich richtig an – am wenigstens sie selbst. Kim kommt mit ihrem Stiefvater nicht klar. Auch deswegen hat sich eine Idealvorstellung von ihrem leiblichen Vater zurechtgelegt. Von diesem kennt sie nur ein altes Foto, das ihn zusammen mit ihrer Mutter zeigt. Ihr Vater ist darauf kaum zu erkennen. Er trägt eine Sonnenbrille und eine Mütze. Aufgenommen wurde das Foto anscheinend in einem gemeinsamen Polen-Urlaub anno 1988. Der Hintergrund weist auf einen Campingplatz hin. Nach diesem letzten gemeinsamen Foto im Fotoalbum folgen nur noch leere Seiten. Irgendetwas ist passiert, spürt Kim. Aber was?
Später befindet sich das Foto nicht mehr im Album. Kim bleiben nur vage Erinnerungen daran. Notgedrungen muss sie sich ein neues Bild von ihrem Vater zusammenfantasieren. Ihr erneuertes Bild von ihm ist erst unscharf und schwammig, dann idealistisch überzeichnet. Sie fantasiert alle möglichen Gründe zusammen, warum sich ihr leiblicher Vater nicht melden kann. Als sie rechnen lernt, begreift sie immerhin, dass sie zu der Zeit, als das letzte gemeinsamen Foto ihres Vaters mit ihrer Mutter entstanden ist, noch gar nicht geboren war. Sie wurde erst zwölf Monate später geboren. Zweieinhalb Jahre später trennt sich die Mutter von ihrem Vater. Was ist damals geschehen?
Ihre jetzigen Eltern sieht Kim als materialistische Raffgeier an, die jede Menge Wohlstandsmüll ansammeln. Ihrer idealisierenden Vorstellung nach muss ihr leiblicher Vater ein erfolgreicher und vermögender Geschäftsmann sein. Kim fragt sich seit Jahren, warum ihr Vater die Familie vernachlässigt, nie geschrieben oder angerufen hat, nie Geschenke zu Weihnachten oder zum Geburtstag geschickt hat. Ist sie ihm egal? Irgendwann beginnt sie, ihn abzulehnen. Sie imaginiert ihn nun als Verbrechertypen oder jemanden, der sich ins Ausland abgesetzt haben könnte. Mit fünfzehn hakt sie Ronald Papen endgültig ab.
Doch dem Rätsel um ihren echten Vater wird Kim jetzt überraschend auf den Grund gehen können. Sie wird von ihrer Mutter über die Sommerferien zum Vater abgeschoben. Kim ist zunächst von der Begegnung enttäuscht. Ihr idealisiertes Bild vom leiblichen Vater bricht zusammen. Vor ihr steht ein seltsamer, mickriger Mann, dem das Scheitern im Leben ins Gesicht geschrieben steht. Ronald Papen lebt inmitten einer Unmenge grässlich gemusterter Markisen aus DDR-Beständen. Ihr Vater entpuppt sich als erfolgloser Vertreter, der mit Haustürgeschäften kaum Geld verdient.
Ronald Papen nimmt Kim gezwungenermaßen mit auf seine Verkaufstouren ins Ruhrgebiet. Die scheußlichen DDR-Markisen, das mangelnde Verkaufstalent ihres Vaters und der klapprige alte Wagen, den ihr Vater fährt, zwingen Kim in die Realität.
Halbbruder Geoffrey Mikulla
Kims Bruder ist neun Jahre alt. Er heißt eigentlich Geoffrey, wird aber meist Jeff oder Jeffy genannt. Jeff ist der leibliche Sohn von Heiko Mikulla und Kims Mutter Susi, die nach der Heirat mit Jeffys Vater Mikullas Nachnamen angenommen hat. Jeff hat als kleines Kind ständig Koliken. Er wird deshalb liebevoller behandelt als Kim. Klein-Geoffrey versteht es, die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zu ziehen, was seine Halbschwester in die Unsichtbarkeit schickt. Zumindest gefühlt.
Kim beschreibt Jeffy als “menschgewordene Heulboje”, die nach ihrem Empfinden bei jeder kleinsten Erschütterung in Betrieb genommen wird. Kim nennt Geoffrey “Shrimp”. Sie gibt zu, ihren kleinen Halbbruder zu hassen, weil sich alles um ihn dreht. Bei einem Grillfest setzt Kim ihren kleinen Bruder – offensichtlich nicht ganz unbeabsichtigt – in Brand. Das ist der letzte Tropfen ins volle Fass ihrer pubertären Aufmüpfigkeit. Kim wird zum leiblichen Vater strafversetzt, den sie bisher gar nicht kennt.
Vater Ronald Papen
Ronald Papen ist genau das Gegenteil dessen, was seine pubertierende Tochter Kim erwartet hat. Er ist eine verkrachte Existenz, ein verpeilter Versagertyp, der in einer Duisburger Lagerhalle auf einem Gewerbehof in Hafennähe haust. Papen lebt mehr schlecht als recht davon, einen großen Bestand veralteter DDR-Markisen mit scheußlichem Dekor an den Mann zu bringen. Das Ruhrgebiet bietet zwar potenzielle Verkaufschancen. Aber Ronald ist nicht der Typ des erfolgreichen Verkäufers. Im Grunde ist Ronald ein hoffnungslos erfolgloser Hausierer, der sich erfolglos abmüht, die Unmengen scheußlicher und technologisch veralteter DDR-Markisen abzusetzen.
Diesem zart gebauten Mann wird im Juli 2005 die 15-jährige Kim an die Seite gestellt. Die Tochter, die er vor 13 Jahren das letzte Mal gesehen hat und die sich kaum an ihn erinnert. Er nimmt sie notgedrungen mit auf seine Verkaufstouren. Ihm ist bewusst, was seine Tochter in ihm sehen muss: Eine verkrachte Existenz und einen feigen Typen, der seine Familie hängen gelassen hat. Während seine Tochter die Gründe für diesen Umstand zu ergründen sucht, lernt sie ihren Vater besser kennen. Sie unterstützt ihn notgedrungen dabei, seine grässlichen Markisen abzusetzen.
Das knallharte Haustürgeschäft verlangt Ronald alles ab – aber da seine Tochter jetzt mitfährt, muss er sich am Riemen reißen. Schließlich beginnt seine Tochter, ihm bei seinen Verkaufstouren zu helfen. Sie lernt durch ihn ein anderes Leben kennen und erkennt, wie gut sie es bisher hatte. Sie erkennt auch, dass ihr Vater Hilfe nötig hat, um wieder auf die Beine zu kommen. Sie kommen sich näher. Für Ronald erweist sich das Zusammensein mit seiner Tochter als Rettung. Am Ende der Sommerferien ist das Leben beider nicht mehr das, was es bisher gewesen ist.